Wenn Kinder trauern

Im Interview beantwortet Ilse Fragen wie

  • Trauern Kinder anders als Erwachsene?
  • Welche Rituale sind im Trauerfall hilfreich?
  • Wie gehe ich mit meiner eigenen Trauer um?

FotoIlseIlse Maria Lechner unterstützt Familien dabei, den Alltag gelassen zu gestalten. Ihr liebevoller Blick gilt dabei den Müttern, die viele verschiedene Aufgaben managen. Durch ihre Erfahrung als Lebens- und Sozialberaterin, Montessori-Pädagogin und Kinesiologin hat sie viele Anregungen parat, wie sich diese Last auf alle aufteilen lässt, sodass am Schluss alle davon profitieren.

 

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Interview mit Ilse Lechner - Wenn Kinder trauern

Vera: Herzlich willkommen zu dem etwas schweren Thema „Wenn Kinder trauern“ – als Expertin darf ich Ilse Maria Lechner von www.entfaltungsparadies.at begrüßen. Ilse, wir haben schon einmal miteinander gesprochen, das ging es darum, wie antworte ich als Mama am besten, wenn mich die Kinder aus heiterem Himmel nach dem Tod fragen. Liebe Ilse, bitte stell dich doch gleich selber unseren Zuseherinnen vor.

Ilse: Hallo, danke dass ich da sein darf. Ich bin Ilse Lechner und ich begleite Mütter einen ausgeglichenen und gelassenen Familienalltag zu leben. Und da gibt es nun mal Situationen, die sehr herausfordernd sind, dazu gehört der Umgang mit Tod und Trauer. Wir wollen heute über Akutsituationen sprechen, also wenn es einen Todesfall in der Familie gibt oder jemand schwer erkrankt ist.

Vera: Ich vermute, das ist dann sehr vom Alter des Kindes abhängig bzw. wie nah das Kind dem Verstorbenen oder dem Erkrankten stehen.

Ilse: Ja, das stimmt. Auf der anderen Seite wissen Kinder oft sehr gut, was sie brauchen. Ich kann hier ein Beispiel aus meiner eigenen Familie erzählen. Mein Sohn war fünf Jahre alt, als mein Großvater gestorben ist. Wir sprachen darüber, dass der Uropa gestorben ist und er war sehr interessiert, was da jetzt passiert. Dann hab ich ihm geschildert, dass es ein Begräbnis geben wird, dass da viele Menschen da sein werden, die werden alle schwarz angezogen sein. Der Uropa wird in einer Kiste liegen, die dann begraben wird. Der Pfarrer wird sprechen und zum Schluss hab ich gefragt, ob er da auch dabei sein mag. Er hat überlegt und dann gemeint, lieber nicht, denn wenn er weinen muss, er möchte da nicht unter so vielen Menschen sein. Aber er wollte sich schon vom Uropa verabschieden und er hatte selbst die Idee, einen Stein zu bemalen und diesen dann dem Uropa auf den Grabstein zu legen.

Drei Jahre später verstarb mein Schwiegervater und wieder hab ich die Kinder gefragt, ob sie dabei sein möchten (mein Sohn war da schon acht, die Tochter fünf) und dieses Mal waren beide sich einig, ja, sie wollen dabei sein. Das einzige, das sie sich ausbedungen haben, sie wollten nicht dunkel angezogen sein. Meine Tochter hat sich ein hellblaues Kleid ausgesucht, das der Opa gerne hatte.

Ich glaube, es ist wichtig die Kinder in den Prozess mit einzubeziehen, ihnen auch eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu geben. In dem Fall war es so, dass meine Tochter noch in dem Alter wo Kinder die Endgültigkeit des Todes noch nicht verstehen, trotzdem war es klar, dass sie dabei sein wollte.

Vera: Man kann den Kindern also durchaus etwas zutrauen, obwohl man merkt, dass sie mit dem Tod und der Endgültigkeit anders als Erwachsene umgehen. Ein Beispiel aus meiner Familie, es war eine Großtante meines Mannes verstorben, da waren meine Mädels vier und sieben Jahre alt. Ich war erstaunt, welche Fragen da plötzlich zum Vorschein kamen, unglaublich pragmatisch, von „Was hat die Tante jetzt an?“ bis hin „Wer kriegt jetzt den Fernseher, den sie sich erst vor kurzem gekauft hat?“

Trauern Kinder anders?

Ilse: Kinder trauern insofern anders als sie diese „Pietätsgeschichten“ wie wir Erwachsenen sie haben noch nicht kennen. Sie sehen ganz klar, dass da jetzt ein Fernseher ist, der eine Verwendung braucht.

Natürlich trauern sie sehr wohl um die Person, es kommt nur manchmal sehr zeitversetzt raus. Sie sind im Moment sehr traurig, stecken das aber vielleicht ganz schnell wieder weg. Dann aber erinnern sie sich plötzlich an etwas, sie sehen ein Foto oder ähnliches und plötzlich bricht die Traurigkeit wieder aus ihnen hervor.

Darauf sollten Eltern vorbereitet sein, dass das immer wieder hervorkommen kann. Die klassischen Trauerphasen, die wir von Verena Kast oder Elisabeth Kübler-Ross kennen, laufen bei Kinder nicht linear und zyklisch ab, sondern sehr sprunghaft. Manchmal bleibt auch eine weg oder kommt verspätet nach.

Manchmal arbeiten sie Dinge erst auf, wenn die Lebenssituation sich ändert. Wenn ein Kind zum Beispiel seinen Vater verliert, egal ob durch Tod oder eine Trennung, nach der das Kind keinen Kontakt mehr zum Vater hat. Da kann es sein, dass dem Kind erst in der Pubertät der Verlust wieder spürbar wird. Dann plötzlich fehlt das Vorbild, die Vaterfigur.

Vera: Das heißt, es ist auch wichtig, dass wir eine Fröhlichkeit des Kindes oder Fragen nach dem Fernseher nicht als Frechheit werten sondern als entwicklungsgemäß:

Ilse: Genau, denn sonst stülpen wir dem Kind unsere Moralvorstellungen über. Und das Kind ist von dem ja noch völlig unbelastet. Wenn die Oma einen tollen Schaukelstuhl hatte und ich den gerne hätte, sag ich das eben auch. Wir Erwachsene haben ja auch gerne ein Erinnerungsstück an einen lieben Verwandten, aber da sind uns oft unsere Konventionen im Weg und die Frage „Kann ich das denn überhaupt verlangen?“ aber es wäre eben mein Erinnerungsstück. Manchmal geht es eben nicht, aber es zu sagen, ist absolut ok!

Ich hab mich zum Beispiel auch sehr gefreut, als ich die alte Pendeluhr von meiner Großtante bekommen habe. Die habe ich jetzt seit 35 Jahren und die Pendeluhr ist meine tägliche Erinnerung an diese Tante.

Vera: Also so ein Erinnerungstück ist auch eine Form der Trauerbewältigung. Welche weiteren Rituale, Bewältigungsstrategien gibt es noch? Wie kann ich als Mama meinem Kind helfen, wenn es traurig ist?

Ilse: Du kannst das Gespräch suchen, aber ohne lästig zu sein und ohne ständiges Nachfragen und Nachbohren. Die kleineren Kinder kommen meist eh von selber, manchmal über Umwege. Wenn es plötzlich ungewohnt heftige Wutanfälle hat oder nicht mehr einschlafen kann, da ist es dann an mir an die Ursachenforschung zu gehen und nachzufragen. Da ist es vor allem wichtig, gut zu zuhören. Weil bei Kindern Missverständnisse aufkommen. Vorsicht zum Beispiel beim Begriff Krebs – manche Kinder wollen plötzlich nicht mehr ans Meer fahren, weil es dort ja auch Krebse gibt. Erwachsene kommen vielleicht nicht auf die Idee, dass die Krankheit mit dem Tier verwechselt werden kann.

Unabdingbar ist für mich auch Ehrlichkeit. Nicht schonungslose Ehrlichkeit, sondern in kleinen Dosen. Fragen kurz beantworten und schauen, ist das schon genug oder wollen sie noch mehr wissen. Erinnerungen aufrecht erhalten – Fotos anschauen und besprechen, was hab ich mit diesem Menschen alles Schönes erlebt, was habe ich von ihm gelernt, was habe ich diesem Menschen zu verdanken.

Märchen können eine gute Verarbeitungsmethode sein, weil in Märchen auch immer wieder die Geschichten von Tod und Leben verarbeitet werden. Märchen haben eine bildhafte Sprache, die vor allem kleine Kinder anspricht. Das gemeinsame Lesen kann sehr hilfreich sein, weil sie trotz der Anspannung die Sicherheit durchs Ankuscheln an den geliebten Menschen spüren. Das stärkt das Vertrauen in die eigenen Kräfte und das Urvertrauen, da gibt es auch jemandem der mir helfen kann.

Bei älteren Kindern ist es wichtig ihnen ihre eigenen Ressourcen klar zu machen. Wo bist du stark? Was hast du von diesem Menschen gelernt? Sie in die Abschiedsrituale einzubeziehen, ihnen Privatsphäre zu gönnen, gerade bei Teenagern, die hören auch mal gerne ganz laut Musik, um ihre Trauer zu verarbeiten.

Bei kleinen Kindern: gib ihnen eine Sprache, Worte für ihr Gefühl – es gibt da ganz viele Bilderbücher auch zum Thema, das hilft diese wirre Gefühlswelt nach außen zu bringen.

Vera: Was ich mir auch sehr schwierig vorstelle, wenn man auch selbst von der Trauer betroffen ist. Wie Kann man selber gut auf sich schauen?

Ilse: Ich halte es für ganz wichtig auch die eigene Trauer zu zeigen. Denn damit gebe ich dem Kind auch die Erlaubnis, selber zu trauern und zeige ihm, es ist in Ordnung, die Gefühle zu zeigen. Und was ich für wünschenswert halte, weil es nicht immer möglich ist sich vorzubereiten. Sich einmal prinzipiell vorher zu überlegen: was kann auf mich zu kommen bei diesen Tabuthemen schwere Krankheit und Tod? Was natürlich nicht heißt, dass dann alles so möglich ist, wie ich es mir heute vorstelle, aber wenn ich selber betroffen bin, weil ein naher Verwandter stirbt. Dann habe ich keinen Kopf dafür zu überlegen, wie mache ich das mit meinen Kindern. Wenn ich das vorher schon einmal durchdacht habe oder sogar schon eine Liste an Strategien, Ritualen und Ideen habe, dann stehe ich nicht vor dem Nichts.

Ich habe Trauerrituale von Familien gesammelt, so hat zum Beispiel jemand mit dem Bestatter gesprochen und haben gemeinsam mit den Kinder den Sarg bunt angemalt. Oder eine Freundin, die ihren Papa verloren hat, hat ein Begräbnis im New Orleans-Style veranstaltet, mit Blasmusik und bunten Regenschirmen. Weil sie selbst diese bedrückte Stimmung nicht wollten und sich sicher waren, dass der Verstorbene das auch nicht gewollt hätte.

Und da finde ich es ganz wichtig, auf sein Innerstes zu hören und nicht auf die Konventionen. Egal, was die Nachbarn denken oder sonst im Ort üblich ist.

Vera: Das sind faszinierende Ideen – du hast selbst ja auch ein Angebot für Menschen, die sich vorbereiten wollen:

Ilse: Ja, das ist ein Tagesworkshop, in dem es um Kindertrauer geht. Wobei es da nicht immer nur um den Verlust von Menschen geht, das können auch banale Dinge sein. Für ein Kleinkind ist es genauso schlimm, wenn der Schnuller verloren geht, Kinder haben da noch nicht unsere erwachsenen Gewichtung. In diesem Workshop lernst du auch die Trauerphasen kennen und wir unterhalten uns über Möglichkeiten dem Kind bei Trauer zu helfen. Ich habe viele Rituale gesammelt und ich werde die Teilnehmerinnen auch ermutigen, ganz eigenständige Rituale zu entwickeln.

Ein Satz, der mich als Kind beeindruckt hat „So manche Leich ist lustiger als a Hochzeit“ (ich stamme aus einer großen Familie und da am Land ist es üblich, nach dem Begräbnis einen „Leichenschmaus“ abzuhalten) Und das hat was! Beim Leichenschmaus werden Geschichten erzählt, man erinnert sich gemeinsam und es schließt den Bogen – das Leben geht weiter! Das kann sehr heilend sein, ist sicher auch eine große Hilfe bei der Verarbeitung.

Vera:  Danke für diesen positiven Abschluss unseres Gespräches.

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Porträt Vera Rosenauer

Vera Rosenauer

selbst Mama von zwei großartigen Töchtern, passionierte Langschläferin, Besitzerin (und Leserin!) mehrerer Kubikmeter Fachliteratur, zufriedene Kundinnen seit 2009

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