Tischmanieren für Kinder – welche Tischregeln können Kinder einhalten
Sind Tischmanieren eine überholte Konvention?
Quält man Kinder denn eigentlich nicht nur, wenn man „Hände auf den Tisch“ einfordert?
Ist es vielleicht sogar eine Einschränkung der persönlichen Freiheit?
Oder nimmt man Kindern sogar frühzeitig Chancen auf einen guten Job, wenn man ihnen nicht ein paar Tischmanieren rechtzeitig antrainiert? Schließlich wird so manches Bewerbungsgespräch für höhere Positionen bei einem gemeinsamen Essen durchgeführt und das dient sicherlich nicht nur der Nahrungsaufnahme und Sättigung der Beteiligten.
Deshalb habe ich mir hier einige klassische Tischregeln für Kinder, aber auch Erwachsene vorgenommen und auf Vor- und Nachteile sowie ihre Tauglichkeit für den Alltag am Familientisch. Du wirst sehen, da greifen ganz oft verschiedene Themen ineinander – gesellschaftliche Konventionen versus soziales Miteinander, verzopfte Benimmvorschriften versus Respekt und Wertschätzung füreinander!
Tischmanieren für Kinder auf dem Prüfstand - Grundregeln am Esstisch
1. Hände waschen vor dem Essen
Ich glaube, da herrscht noch ziemliche Einstimmigkeit!
Oft wird es einfach eine hygienische Notwendigkeit sein, wenn das Kind grad vom Garten, Spielplatz, Basteln oder ähnlichem daherkommt …
2.Beim Essen wird gegessen – und sonst nichts!
Smartphones, Tablet & Co gehören nicht auf den Tisch – auch nicht die elterlichen Geräte (ja, ich weiß, das tut jetzt weh!). Der Fernseher ist klarerweise auch nicht eingeschaltet. Ich gehe jetzt aber noch einen Schritt weiter: auch Spielzeug, Malbücher und sonstiger analoger Kram haben auf dem Esstisch nix verloren.
Man hört immer wieder, dass das aber notwendig wäre, weil man nur mit Ablenkung etwas ins Kind hineinbringen würde. Da lauert ganz stark die Angst vor dem „nichts-essenden Kind“, die tief in uns verankert ist. Aber genau dieses unbewusste „Dinge-in-sich-hineinstopfen“ ist es, was wir vermeiden sollten. Das wird nämlich langfristig zur Gewohnheit und kann mitunter fatale gesundheitliche Folgen haben.
ABER – keine Regel ohne Ausnahme: solche Ausnahmen werden vielleicht von bestimmten Anforderungen in deiner Familie notwendig gemacht. Als meine Mädels klein waren, arbeitete mein Mann gerade für ein kanadisches Unternehmen und musste aufgrund der Zeitverschiebung sehr früh am Morgen seine Emails checken. Das hieß für uns entweder Frühstück mit Papa UND Laptop oder ganz ohne Papa (weil er schon früh ins Büro fährt!), wir haben uns gemeinsam für ersteres entschieden.
ODER: in meiner Kindheit gab es das Mittagessen immer dann vor dem Fernseher, wenn eine Weltcup-Abfahrt übertragen wurde und wir gemeinsam mit Franz Klammer mitgefiebert haben – ein liebgewordenes Ritual! (zugegeben, das Beispiel mit dem Skirennen verstehen wahrscheinlich nur die österreichischen Leserinnen ...
3. Wir benutzen das Besteck zum Essen
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber manchmal erscheint es mir als wäre das Besteck der größte Feind meiner Kinder, den sie am liebsten weiträumig umgehen würden.
Natürlich muss man das Besteck benutzen auch manchmal noch genauer definieren: die Knödel auf die Gabel stecken und dann davon abbeißen ist noch nicht ganz im Sinne des Erfinders!
Messer abschlecken ist im Grunde auch Besteck benutzen, aber dabei kann man sich ganz schlimm die Zunge verletzen. Wie immer, wenn man Regeln gut erklären kann, werden sie eher befolgt.
Also mal runter mit den Erwartungen, die Ansprüche ans Alter anpassen und zwischendurch Gerichte anbieten, bei denen es nicht unbedingt Besteck braucht – Gemüsepommes oder - nuggets, Fajitas, Burger, Toast, …
4. Aufrecht sitzen, Hände auf dem Tisch, dafür die Ellbogen runter
Hier wird’s schon fortgeschritten – vor allem, wenn wir Nummer 3 auch noch verknüpfen im Sinne von: wir bringen das Essen mit der Gabel zum Mund und nicht umgekehrt.
Diese Regel ist definitiv noch nichts für Kleinkinder.
5. Am Esstisch "bitte" und "danke" sagen
Natürlich ist „bitte“ und „danke“ sagen freundlich und zeigt anderen gegenüber Respekt. Das sollte aber nicht nur beim Essen so sein. Ein gewisses Maß an Höflichkeit ist in jeder Lebenssituation eine gute Gewohnheit.
Ein fixes „Danke fürs Kochen“ würde ich nicht als Ritual haben wollen, denn dann ist es oft nur so dahingesagt, weil es halt gesagt gehört.
Damit Kinder tatsächlich Wertschätzung für denjenigen, der gekocht hat, lernen, halte ich es für hilfreicher, sie immer wieder mithelfen zu lassen. Beim Einkaufen, beim Vorbereiten, beim Kochen, beim Tisch decken, beim Servietten falten, beim Getränke herrichten – es gibt viele Möglichkeiten, für jede Altersstufe.
6. Mit dem Essen wird erst begonnen, wenn alle etwas auf dem Teller haben
Auch das ist eigentlich eine Sache der Höflichkeit. Dazu braucht es aber von allen Beteiligten Höflichkeit: nämlich auch die, zu Tisch zu kommen, wenn das Essen fertig ist!
Wenn einer immer wieder zu spät kommt, gilt es vielleicht zuerst das Ritual zu prüfen, mit dem zu Tisch gerufen wird. Gibt es fixe Essenszeiten, die für alle klar und einhaltbar sind? Wird es ein paar Minuten vorher angekündigt, so dass jeder noch beenden kann, was er gerade macht?
Hilft aber das auch nicht bei notorischen Zu-spät-Kommern, sehe ich eigentlich nicht ein, warum sich mehrere von einem gängeln lassen sollten! Ganz ehrlich, ich hab keine Lust, mein selbstgekochtes Essen halb kalt zu essen, bloß weil ein Familienmitglied sich nicht von seinem Laptop trennen kann …
7. Es muss von allem etwas gekostet werden
Grundsätzlich sicher sinnvoll. Kinder sind meist skeptisch, wenn man etwas zum ersten Mal auf den Tisch bringt.
Es ist aber wichtig, eine gute Balance zu halten zwischen „etwas zum Probieren anbieten“ und „das Kind zum Kosten zwingen“.
Kinder spüren Geschmäcker noch viel intensiver. Und manchmal vertragen sie ein Lebensmittel noch nicht so gut und da fühlen sie vielleicht schon ein Kribbeln auf den Lippen oder ein Brennen auf der Mundschleimhaut. Also sollten wir das auch akzeptieren, wenn manchmal noch nicht einmal kosten geht!
8. Nur so viel auf den Teller geben, wie man auch essen kann. Nachnehmen ist selbstverständlich erlaubt.
Mit dieser Regel stehen auch noch genug Erwachsene auf Kriegsfuß, schau dich mal bei einem Buffet um, wo man sich manchmal nur fremdschämen muss.
Irgendwo tief in unserem menschlichen Inneren muss eine Angst sitzen, nicht genug zu bekommen. Und wenn das Geschwisterkind zwei Knödel ist, muss ich unbedingt auch zwei haben.
Wenn du anrichtest, dann starte auch mal lieber mit einer kleinen Portion. Vor allem schwache Esser sind von übervollen Tellern überfordert.
Dieser Punkt steht gleich im direkten Zusammenhang mit dem nächsten.
9. Es muss nicht aufgegessen werden
Damit sind wohl schon viele Kinder gequält worden. Wir als Erwachsene können nicht wissen, wie viel Hunger ein Kind hat oder nach welcher Menge es sich satt fühlt oder auch nicht.
Kinder haben ein gutes Gefühl für Hunger und Sättigung, das wir Erwachsenen eher kaputt machen können, wenn wir uns zu viel einmischen und glauben, es besser zu wissen.
10. Nicht mit vollem Mund sprechen
Etwas das sich eigentlich leicht erklären und, wenn notwendig, auch demonstrieren lässt: „Halb zerkautes schaut einfach nicht schön aus und andere finden das beim Essen eklig!“
Erwarte aber nicht, dass sich ein Kleinkind daran halten wird, wenn ihm gerade etwas wichtiges einfällt, dass es erzählen möchte.
Formulierungen mit „Nicht“ sind für Kinder oft schwer verständlich – sag deshalb lieber „Kauen – schlucken -sprechen“, wenn es so weit ist.
11. Essen wird nicht durch die Gegend geworfen, auf dem Tisch verteilt oder verschmiert
„mit dem Essen spielt man nicht“ – Generationen von Kindern sind damit groß geworden.
Grundsätzlich finde ich das auch sehr richtig, aber wenn dein Baby, das gerade seine ersten Erfahrungen mit der Beikost macht, einmal unbedingt erfühlen will, wie sich so ein Grieskoch wohl anfühlt – dann geht die Sinneserfahrung über die Manieren!
In den Kleinkind-Jahren ist es für Kinder tatsächlich oft noch sehr schwierig „sauber“ mit dem Essen umzugehen, da landet auch mal was neben dem Teller oder auf dem Boden.
Sei hier nicht päpstlicher als der Papst und eine Plastikunterlage unter dem Hochstuhl kann viel Stress aus dem Familienessen nehmen!
Aber mutwillig herumgespielt sollte selbstverständlich nicht mit dem Essen werden.
12. Schmatzen, Rülpsen, Nase bohren sind unappetitlich und tabu
Bei diesem Punkt liegt die Erklärung ja schon in der Überschrift – alles, das potentiell den Appetit verdirbt, gehört nicht auf den Familientisch!
13. Während des Essens nicht vom Tisch aufstehen
Jetzt wird’s wieder haariger – je kleiner das Kind, umso schwieriger wird das durch zu setzen.
Überleg mal, wie lange dauert eine durchschnittliche Familienmahlzeit (wenn es nicht gerade ein Festessen ist) – wohl ungefähr 15 – 20 Minuten. Und das kann für ein Kleinkind schon recht überfordernd sein, so lange stillsitzen zu müssen.
Mach aber klar, dass in dem Wort „Mahlzeit“ eben das Wort „Zeit“ drin steckt. Das heißt, es gibt eine Zeit zum Essen und eine Zeit, in der nicht gegessen wird.
Wenn dein Kleinkind immer wieder aufhüpft und herumläuft, dann sag rechtzeitig Bescheid, bevor die Mahlzeit vorbei, so dass es noch die Chance hat, etwas zu essen. Und wenn es nicht mehr möchte, dann gibt es gerne bei der nächsten Mahlzeit die nächste Gelegenheit.
14. Sitzen bleiben, bis alle fertig sind
Auch das ist schwierig, wenn die Familienmitglieder sehr unterschiedlich brauchen, bis sie fertig sind. Es gibt eben Genießer und schnelle Esser.
Im Extremfall kann diese Regel auch von Geschwisterkindern „missbraucht“ werden, in dem sie extra lange essen, damit alle anderen auch sitzen bleiben müssen.
Ein Mittelweg wäre „Fragen, ob man schon aufstehen darf“, wenn man früher fertig ist.
15. Nach dem Essen den Mund abwischen
Oder gleich Hände waschen gehen, wenn es Fingerfood gegeben hat ;-) aber sonst braucht es wohl auch hier keine weiteren Erklärungen.
So, das wären schon mal 15 Regeln rund um den Familientisch – bestimmt fallen dir auch noch welche ein, die ich hier vergessen habe. Wie viele das sind, ist uns Erwachsenen meist gar nicht bewusst, weil wir diese Verhaltensweisen bereits so verinnerlicht haben.
Für Kinder ist das aber ziemlich schwierig – bedenke mal, 15 Regeln (oder noch mehr!) und das nur für die verhältnismäßig kurze Zeit einer Mahlzeit.
Deshalb fange lieber klein an. Überlege dir, welche dieser Regeln und Manieren sind dir am wichtigsten. Wähle dir zwei bis vier aus und beginne damit. Schön langsam können es dann mehr und mehr werden.
Ab wann legen wir denn jetzt los mit den Tischmanieren?
Ich denke, es ist jedem klar, dass wir von einem Baby keine Tischmanieren erwarten können. Aber wir können dem Baby schon beim Beikoststart einen Löffel zum Spielen in die Hand drücken. Kinder ahmen gerne nach und so kann es erste Erfahrungen machen.
Du kannst im Babyalter auch schon vorleben, dass es bei Tisch keine Ablenkungen (du weißt schon, die Sache mit dem Smartphone!) gibt.
Kleinkinder können bereits helfen. Servietten aussuchen oder falten, Löffel auf dem Tisch austeilen, die Banane für den Obstsalat schneiden – so sind sie dann wahrscheinlich auch eher beim Geschehen am Tisch dabei und vielleicht auch motivierter beim etwas Neues kosten.
Das etwas ältere Kind möchte vielleicht ein gutes Vorbild für das kleine Geschwisterkind sind und stolz darauf sein, dass es schon manches kann, was das Kleine noch nicht kann. Das sollte aber vom Kind selbst kommen, verzichte auf die Keule „Du bist schon groß, du musst das schon können!“
So können sich die Anforderungen langsam steigern. Aber sei dir klar, dass du ganz oft Geduld an den Tag wirst legen müssen. Tischmanieren lernen geht nicht über Nacht.
Ideen, um Tischmanieren nebenbei und spielerisch zu lernen
Wie so oft, hier kommt zuallererst mal dein Vorbild ins Spiel. Ein Kind wird nichts machen, was du nicht selber machst!
Lass die Kinder mitreden – du wirst erstaunt sein, was Kindern selber wichtig ist bei Tisch.
Dann könnt ihr gemeinsam eure Tischregeln zeichnen oder gestalten, so dass ihr sie immer vor Augen habt. Hier ein Beispiel, da waren meine Mädels 4 und 7 Jahre alt.
Weil die Bilder für Außenstehende wohl nicht selbsterklärend sind ;-)
- sie bedeuten folgendes:
1. Wir sitzen ruhig bei Tisch.
2. Wir essen mit Messer und Gabel.
3. Wir schmeissen keine Sachen durch die Gegend.
4. Wir fragen, bevor wir aufstehen.
5. Bei Mittag- und Abendessen gibt es kein Lesen, Handy oder Computer.
Hab auch keine Angst vor Ausnahmen! Eine Ausnahme impliziert automatisch, dass es eine Regel gibt – deshalb mach spaßhalber ab und an einen „Schweinetag“ (ich entschuldige mich an dieser Stelle bei allen Schweinen!), an dem jeder essen darf, wie er möchte.
Oder es darf jeden Tag jemand anderer der „Tisch-Sheriff“ sein, der die Einhaltung der Regeln überwacht und den Rest der Familie ermahnen darf.
Spiel „Nobles Restaurant“ mit deinen Kindern – heute muss sich jeder extra fein benehmen und üben, ein Buch unter den Achseln während des Essens fest zu halten.
Wie wäre es mit einem kleinen Wettbewerb? Wer es schafft, die Suppe ohne Auspatzen zu essen, darf sich für morgen seine Lieblingsspeise wünschen.
Hast du gute Ideen, um spielerisch Tischmanieren zu lernen? Dann freue ich mich darauf in den Kommentaren von dir zu lesen!
Fazit:
Dein Vorleben ist gefragt und da ist auch deine langfristige Vision wichtig: stell dir mal ein Familienessen in 20 Jahren vor. Wie soll das aussehen?
Ein gemütliches Beisammensein, bei dem alle fröhlich miteinander plaudern und gute Stimmung herrscht vielleicht. Wirst du das mit ständigem Herumnörgeln erreichen, weil das Kind jetzt gerade nicht aufrecht sitzt? Wohl eher nicht.
Eine entspannte Stimmung am Familientisch ist letztendlich viel wichtiger als der Fleck im Tischtuch oder die Ellenbogen an der Taille.
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