Muss man Kinder zum Zähne putzen zwingen?

Eigentlich hatte ich ein weihnachtlicheres Thema geplant und wollte etwas Nettes über Rituale schreiben. Und dann hat mich via Facebook jemand auf ein Video der Landeszahnärztekammer Thüringen aufmerksam gemacht.

Und jetzt kann ich nicht anders.

Ich muss das Thema Zähne putzen bei Babys und Kleinkindern (nochmal) aufgreifen, da gibt’s ja schon einige Artikel dazu:

Was Du übers Zähneputzen bei Kindern wissen solltest
Die Top-Ten-Strategien für das allabendliche Zähne-Putz-Drama
Was ist besser für Kinder – normale oder elektrische Zahnbürste?

Im oben genannten Video (ich füge den Link hier bewusst nicht ein, du findest das Video aber sehr leicht auf Youtube!) wird Zahnpflege für Babys und Kleinkinder erklärt. Von einer ruhigen Damenstimme – während man im Bild ein weinendes Baby sieht, dem ein Erwachsener die Lippen auseinanderdrückt und mit der Zahnbürste im Mund herumstochert.

Vorsicht – es ist wirklich nicht schön anzusehen, das Video!

Was mir so gar nicht dran gefällt, ist die Botschaft, das müsse wohl so sein. Im Sinne der Gesundheit ist es erlaubt, mit körperlicher Gewalt gegen den Willen des Kindes einen Gegenstand in eine Körperöffnung einzuführen.

Verstehe mich nicht falsch, Zähne putzen ist wichtig, aber stell dir mal vor, jemand der mehr als doppelt so groß ist wie du, macht das mit dir! Jemand, dem du eigentlich vertraust, der dich versorgt, den du lieb hast – würdest du da nicht auch an dessen guten Absichten zweifeln? Würde dich das nicht auch in eine absolute psychische Notlage stürzen?

Noch einmal – Zähne putzen ist wichtig, aber sollte nicht zu einem gewaltsamen Ringkampf zwischen Eltern und Kleinkind führen!

Mal ehrlich, wie sorgfältig kann man die Zähne denn wirklich säubern, wenn das Kind sich mit Händen und Füssen dagegen wehrt. Das ist doch ohnehin nur ein Alibi-Putzen, damit das elterliche Gewissen beruhigt ist und man sich durchgesetzt hat …

Wenn sich zwischen dir und deinem Kind ein solch unliebsames Zähneputz-Ritual eingestellt hat, dass tagtäglich zu bitteren Wein- und Schreiduellen ausufert und es dir vielleicht schon am Nachmittag Bauchweh verursacht, wenn du nur an den Abend denkst – dann erlaub dir mal ein paar Tage Pause von Zähne putzen.

Nimm den Druck raus – wo Druck ausgeübt wird, entsteht ganz automatisch Gegendruck. Lässt du den Druck weg, wird auch dein Kind wieder entspannter sein.

Stell dir die Frage: „Was ist das Schlimmste, das passieren kann, wenn wir drei Tage lang nicht Zähne putzen?“

Setz deine Antwort hier ein: …….

Mal schauen, ob das einen Shitstorm seitens der Zahnärzte auslöst, aber ich persönlich denke, ein paar Tage Zahnputzpause haben keine großen Folgen für die Zahngesundheit. Außerdem halte ich die psychische Gesundheit, die durch solch gewaltsame Maßnahmen ja auch Schäden erleidet, für mindestens genauso wichtig wie die körperliche!

Wenn du nach ein paar Tagen wieder mit dem Zähne putzen startest, wirst du das viel entspannter tun und wirst sehen, dass dein Kind dann auch wieder viel mehr Bereitschaft zeigt mit zu machen. Schau aber auf alle Fälle in diesen paar Tagen drauf, dass möglichst wenig genascht wird.

Für die Zwischenzeit möchte ich dir noch ein paar Gedanken übers Zähne putzen mitgeben:

1. Hoffe nicht darauf, dass dein Kind die Sinnhaftigkeit des Zähneputzens einsieht!

Dafür müsste das Kind die Zeit als Kontinuum verstehen und langfristige Folgen abschätzen können. Karies und Löcher in den Zähnen entstehen ja nicht über Nacht. Jetzt etwas Unangenehmes tun, um vielleicht in ein paar Jahren oder Jahrzehnten keine Probleme zu haben, ist für ein Kind nicht einsehbar.

Überleg mal, wie viele Erwachsene wissen, wie sich Weihnachtskekse auf die Bikinifigur auswirken, die man in ein paar Monaten haben möchte und essen sie trotzdem. Wie viele wissen, wie sich der Prosecco zu viel auf der Weihnachtsfeier auf die morgige Arbeitsfähigkeit (vom Kopfweh mal abgesehen!) auswirkt und trinken ihn trotzdem. Und da geht es um wesentlich kürzere Zeitspannen!

Da fallen dir bestimmt jetzt noch weitere Beispiele ein, aber von einem Zweijährigen wollen wir verlangen, dass er in weiser Voraussicht mit einem Lächeln auf den Lippen etwas für seine zukünftige Gesundheit tut. Das wird’s wohl nicht spielen ….

2. Es geht ums dauerhafte Installieren eines Körperpflegerituals!

Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Gerade bei kleinen Babys, die noch viel gestillt werden und vielleicht gerade erst mit der Beikost angefangen haben, sind die Zähne ja noch nicht so von Zucker verpickt, dass es in erster Linie um die Reinigung geht. Da steht im Vordergrund, das Zähne putzen zu einem selbstverständlichen Punkt im Ablauf der morgendlichen und abendlichen Körperpflege zu machen.

Wenn du noch ganz am Anfang der Zähne putz-Geschichte stehst, kannst du auch wunderbar mit dem Wording arbeiten: „Hurra, der erste Zahn ist – jetzt darfst du auch Zähne putzen!“ Ja, ich weiß, das versteht das Baby noch nicht, aber es wird etwas an deiner inneren Haltung ändern und früher oder später übernimmt das Kind das in sein eigenes Weltbild.

Und alles, was wir dürfen ist besser als das. was wir müssen!

3. Es wird immer bessere und schlechtere Phasen beim Zähne putzen mit Kleinkind geben!

Manchmal funktioniert‘s gut, manchmal nicht – dann bist du wieder gefordert, dir neue Dinge, Varianten, Spielchen, etc. zu überlegen, um dem Kind das Zähne putzen wieder schmackhaft zu machen.

Eine Klientin hat das mal so ausgedrückt: „Ich komme mir vor wie ein Zauberer, der ständig neue Hasen aus dem Hut zieht!“

Ja, genau so ist es – zum Glück gibt’s viele Hasen für den Hut, vertrau drauf, du findest immer wieder einen!

Vor einem Spiegel putzen, gegenseitig putzen, in einem anderen Zimmer putzen, …

4. Geht’s ums Zähne putzen oder um die Selbstbestimmung?

Kinder im Trotzalter wehren sich manchmal gar nicht gegen das Zähne putzen per se, sondern sie lehnen es vehement ab, dass über sie bestimmt wird. Dann kannst du das Kind ins Boot holen, indem du es irgendein Detail selbst bestimmen lässt, aber in der Sache auf Linie bleibst.

Du bestimmst, dass Zähne geputzt wird, aber das Kind darf bestimmen …

  • Ob mit der roten oder der blauen Zahnbürste
  • Vor oder nach dem Pyjama anziehen
  • Im Bad oder im Kinderzimmer
  • Mit einem Lied oder einer Geschichte
  • ….

Paul Watzlawik sagt dazu: Wenn es keine Alternative gibt, dann schaffe eine Illusion von Alternativen!

{loadmodule mod_blank250,3 erprobte Alternativen zum NEIN-Sagen}

5. Arbeite nicht mit Angst!

„Wenn du jetzt nicht Zähne putzt, dann …

… wirst du einmal ganz arg Zahnweh kriegen!“

… musst du zum Zahnarzt gehen und der tut dir dann weh!“

… knabbern die Kariesbakterien deine Zähne an!“

Letzteres tun sie übrigens nicht, mehr dazu beim nächsten Punkt. Lass bitte alles weg, was den Kindern Angst macht! So legst du nur schon früh den Grundstein für die Angst vorm Zahnarztbesuch und produzierst dir selbst das nächste Problem, weil der ist früher oder später notwendig.

Ich kenne zwar niemand, der wirkliche gerne zum Zahnarzt geht, aber das Ziel wäre, die ersten Zahnartbesuche möglichst angstfrei zu gestalten. (Ich überlege gerade, ob Zahnärzte selber auch Angst oder wenigstens ein ungutes Gefühl vorm Zahnarztbesuch haben?)

Je mehr Spaß und Spiel du aus dem Zähne putzen machen kannst – auch wenn’s nicht immer leicht ist! – umso besser. Angst motiviert jedenfalls bestimmt nicht.

6. Das große Thema Zucker und Naschen

Zähne putzen ist ja nicht das einzige, was die Zahngesundheit beeinflusst. Eine große Rolle spielt auch was und wie viel Kinder naschen.

Die Karies-Bakterien ernähren sich ja von Zucker – und das, was sie danach ausscheiden, greift anschließend unsere Zähne an. Im Prinzip „pinkeln“ und die Bakterien in den Mund (ein ziemlich grausiges Bild, das ältere Kinder aber oft sehr witzig und mitunter motivierend zum Zähne putzen empfinden!)

Als Faustregel für die tägliche Naschration gilt eine Handvoll – und zwar die Handgröße des Naschers, also eine Kinderhandvoll. Und für die Zähne ist es weitaus besser, diese Ration gleich auf einmal zu verputzen als mehrmals über den Tag verteilt. Die Sendung mit der Maus erklärt hier genau, warum das so ist!

Und nach dem Naschen den Mund ausspülen oder ein Glas Wasser trinken, das beraubt die Kariesbakterien wenigstens eines Teils ihrer Nahrung …

Webinar „Zahnpflege für Babys und Kleinkinder“

Im Jänner 2017 habe ich für meine Newsletterabonnentinnen ein Webinar Der tägliche Kampf ums Zähne putzen – ist er wirklich notwendig? gehalten, weil mir sowohl die körperliche als auch die psychische Gesundheit unserer Kinder sehr am Herzen liegt.

Trage hier deine Emailadresse ein, dann bekommst du umgehend den Link zur Aufzeichnung (Dauer ca. 40 Minuten) zugeschickt!

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Porträt Vera Rosenauer

Vera Rosenauer

selbst Mama von zwei großartigen Töchtern, passionierte Langschläferin, Besitzerin (und Leserin!) mehrerer Kubikmeter Fachliteratur, zufriedene Kundinnen seit 2009

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