Fördern – fordern – überfordern
Letzte Woche ging ein Foto vom Linzer Juniormarathon durch die Medien – Eltern schleppen und zerren ihre drei- bis vierjährigen Kinder über die Ziellinie. So sieht Spaß an Bewegung sicher nicht aus …
Schon etwas älter, aber ähnlich erschreckend: ein Artikel über Frühförderung in Österreich mit dem Titel „Wettlauf in Windeln“
So wichtig mir Förderung für Kinder (gerade in den ersten Lebensjahren) scheint, ist es mir wichtig das Ganze mit etwas Hausverstand zu betrachten.
Ach ja – und falls du dich fragst, warum das Bild zu diesem Blogartikel ausgerechnet ein Bier zeigt – die Erklärung dazu folgt später 😉
Braucht es Frühförderkurse?
Ich bin überzeugt, dass die meisten der in Wien und wo auch immer angebotenen „Förder“-Kurse (sei es nun Sprachen, Tanzen oder was auch immer) qualitativ hochwertig und für sich durchaus ok sind – fragwürdig find ich es, für einen Dreijährigen vier Kurse parallel zu buchen.
Die Absicht dahinter mag eine gute sein („mein Kind hat es im Leben später leichter, wenn es schon Englisch kann“), wie hilfreich es fürs Kind ist, ist wohl fraglich!
Mir tun Kinder leid, deren Terminkalender vollgesteckt ist wie bei der Generaldirektorin eines großen Konzerns und die ihre Eltern nur noch beim Transport von der Flötenstunde zum Early English sehen.
Nebenbei produziert das ja auch eine Menge Stress für die ganze Familie – jeder weiß, dass Kinder immer langsamer agieren je mehr Zeitdruck herrscht. Und dann bin ich als Mama ganz oft mit dem Kind im Konflikt-Modus …
Ich plädiere sehr dafür, für jüngere Kinder jeweils semesterweise nur einen Kurs nach dem anderen zu buchen – so dass das Kind immer wieder etwas Neues ausprobieren kann und seine Vorlieben entdecken kann.
Trotzdem bleiben genug freie Nachmittage dazwischen, an denen man Freunde besucht, auf den Spielplatz geht oder auch mal ganz einfach nur zu Hause in die Luft schaut. Und wenn mal ein Kurs nicht gefällt, ist es auch bald wieder vorbei.
Ältere Kleinkinder (vier oder fünf Jahre) können dann auch schon zwei Aktivitäten haben, im Schulalter konzentrieren sie sich dann oft von alleine auf eines, das ihnen besonders gefällt.
Wichtig: Manchmal aber braucht es auch ein wenig Durchhaltevermögen. Gerade bei Musikinstrumenten ist oft die erste Lernkurve recht steil und dann muss man sich mal durch eine Durststrecke durchbeißen.
Fordern oder überfordern? Ein Balanceakt
Herausforderungen sind das Salz in der Suppe!
Es ist schon toll, wenn man etwas schafft, was man sich vielleicht vorher nicht zugetraut hat.
Man will ja seine Kinder nicht nur in Watte packen und lebensunfähig machen – aber wie erkenne ich jetzt die gesunde Herausforderung im Unterschied zur Überforderung?
Ich greife hier auf ein Motivationsmodell aus der Wirtschaft zurück – das Biermodell von Jörg Zeyringer
(Ahhh, deshalb das Bier auf dem Bild ;-))))
Er beschreibt in seinem Modell, dass Mitarbeiter eine gute Balance aus unterschiedlich schwierigen Aufgaben brauchen um dauerhaft motiviert zu bleiben. Diese Schwierigkeitsgrade hat er in Anlehnung an ein Bier benannt.
- Satzaufgaben – Das sind die, bei denen man das Hirn nicht einmal einschalten muss. Dinge, die mehr oder weniger automatisiert ablaufen. Das sind Routinetätigkeiten, bei denen man auch etwas „regenerieren“ kann
- Bieraufgaben – Dazu braucht es Erklärungen, aber danach kann man diese Aufgaben mit Konzentration gut selbstständig abarbeiten.
- Schaumaufgaben – Das sind eben die Herausforderungen. Auch nach der Erklärung ist man vielleicht noch nicht so sicher, ob man sie wirklich schafft. Vielleicht geht’s auch nicht beim ersten Mal, man scheitert, muss nochmal rückfragen – aber wenn sie dann geschafft ist, dann fühlt man dieses YEAH-Gefühl!!
Spannend wird’s jetzt bei der Verteilung – die Bieraufgaben sollten den Großteil der Tätigkeit (gut 70%) ausmachen, Satz- und Schaumaufgaben jeweils etwa 15%.
Wenn wir das jetzt auf unsere Kinder umlegen, müssen wir uns individuell jede Tätigkeit und jedes Kind ansehen.
Schuhe zubinden ist sicher zuerst mal eine Schaumaufgabe. Für ein feinmotorisch begabtes Kind wird sie aber sicher schneller zu einer Bieraufgabe werden als für einen Grobmotoriker. Und wenn diese beiden Kinder Teenager sind, ist Schuhe zubinden hoffentlich für beide zur Satzaufgabe geworden …
Beobachte dein Kind – was fällt ihm leicht? Woran hat es Spaß? Wo muss es sich anstrengen? Dann kannst du ganz individuell seine Schaumaufgaben erkennen und im Alltag entsprechend „dosieren“. Wir sollten den Kindern aber Schaumaufgaben auch nicht vorenthalten, dank ihnen haben wir nämlich unsere schönsten Erfolgserlebnisse.
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Aber – zurück zu unserer Frage, ob es denn Förderkurse braucht. Von vielen Eltern höre ich das Argument:
Ja – aber dem Kind ist doch zu Hause fad!
Langeweile zwischendurch ist nicht nur erlaubt, sondern sogar sinnvoll, daraus entsteht Kreativität! Darum geht’s auch im Artikel Mama, mir ist soooo fad!
Zwischendurch ergibt sich genug Fördermöglichkeit zu Hause – vielleicht sind Eltern auch deshalb so im Förderstress, weil ihnen nicht klar ist, wieviel Potenzial in ganz alltäglichen Situationen steckt:
Wenn der Zweijährige Bananenstückchen mit dem Plastikmesser für den Obstsalat schneiden darf, ist das eine geniale Sache für seine Feinmotorik. Er lernt etwas über Teamarbeit, über die Beschaffenheit von Bananen, er macht wertvolle Sinneserfahrungen (Riechen, Schmecken, Tasten) und erfährt sich selbst als kompetent, ganz wesentlich für seine spätere Selbstständigkeit.
Wie siehst du das? Welche Kurse hast du mit deinem Kind besucht? Welche Fördermöglichkeiten fallen Dir im Alltag ein?
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