Bildschirmzeiten für und mit Kindern konfliktfrei regeln

Im letzten Artikel ging es um Machtkämpfe und wie man sie in der Erziehung vermeidet und darin habe ich dir die Beschreibung der „Niederlagelosen Konfliktlösungsmethode“ anhand eines Beispieles versprochen.

Thomas Gordon beschreibt diese Methode in seinem Bestseller „Familienkonferenz“. Sie lässt sich übrigens nicht nur in der Familie anwenden, sondern auch in Partnerschaft, Schule oder Geschäftsleben.

Die sechs Schritte kommen einem vielleicht anfangs ein wenig umständlich vor, man muss aber je nach Situation nicht unbedingt alle durchgehen. Ganz oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass mit Schritt 1 die Sache eigentlich gegessen ist. Schritt 1 ist allerdings auch der komplizierteste, dafür lohnt es sich durchaus etwas Zeit zu nehmen.

Ich möchte dir die Methode jetzt an einem Bespiel erklären und habe mir dafür die Regelung der Bildschirmzeiten für Kinder hergenommen. Das ist doch oft eine längere Sache und muss auch je nach Alter der Kinder immer wieder mal angepasst werden (da wird es dann doch alle Schritte brauchen ?

Schritt 1: Problem definieren

Klingt einfach – ist es aber nicht!

Oft genug streiten wir uns über verschiedene Dinge, deshalb ist dieser Schritt der absolut wesentliche, vielleicht sogar der wichtigste: worum geht es überhaupt?

Bei unserem Beispiel sind wir vielleicht versucht zu sagen: Na eh klar, Regeln fürs Fernsehen und Handy spielen müssen her!

Wenn wir genauer hinschauen, werden wir aber mehr finden – wer hat hier welches Problem, welche Bedürfnisse?

Als Eltern haben wir vermutlich die Sorge, dass bei Überhandnehmen der Bildschirmzeiten irgendwelche Schäden beim Kind auftreten („Du bekommst ja noch rechteckige Augen!“ bis zu Konzentrationsstörungen oder falsch vernetzten Gehirnzellen …) Vielleicht geht es ja nicht nur um die Zeit, wie lange die Nutzung dauert, sondern auch um die Inhalte.

Du solltest dir vorab Gedanken machen, was dir wichtig ist und was weniger. Mit anderen Worten deinen Verhandlungsspielraum abstecken.

Überleg aber auch, worum könnte es dem Kind gehen. Liebt es das Spielen am Handy, weil es ihm einfach Spaß und Entspannung bietet (beides verständliche Bedürfnisse!) oder ist der Fernseher einfach zur Ablenkung eingeschalten?

Ein Gespräch zur Konfliktlösung funktioniert übrigens ganz sicher nicht, wenn der Konflikt grad ganz heftig hochkommt, also du mit deinem Kind akut übers Abschalten des Geräts diskutiert. Suche lieber einen ruhigen Zeitpunkt und beschreib dann dein Problem und deine Sicht, wo wie du es im Vorfeld überlegt hast.

Zum Beispiel:

„Weißt du, mich nervt diese dauernde Streiterei ums Handy und ums Fernsehen. Wollen wir uns mal gemeinsam überlegen, wie wir das regeln könnten, so dass wir uns in Zukunft weniger nerven müssen?“

Und schon geht es weiter:

Schritt 2: Brainstorming

Hier darf alles genannt werden, ohne dass es gleich bewertet oder kritisiert wird. Am besten schreibt einer von euch alles mit.

Die Liste könnte wie folgt aussehen:

  • Gar keine Bildschirmzeit
  • Jeden Tag eine halbe Stunde
  • 5 Mal in der Woche eine bestimmte Sendung
  • Jeden Samstagnachmittag ein ganzer Film auf DVD
  • Kind kriegt einen eigenen Fernseher und darf schauen, was und wie viel es will
  • Einmal pro Woche wird anhand des Fernsehprogramms ein Plan festgelegt
  • 5 Stunden pro Woche bei freier Zeiteinteilung vom Kind
  • ……

Schritt 3: Ideen bewerten

Wenn alle Ideen auf dem Tisch liegen oder besser gesagt auf der Liste stehen, werden sie auf ihre Tauglichkeit geprüft.

Das ist der Moment, bei dem vermutlich der Vorschlag mit dem Fernseher rausfliegt …

Und dein Kind Idee Nummer 1 streicht.

Bei den anderen Punkten ist Diskussion angesagt. Da darf das Kind aber jetzt genauso mitargumentieren wie die Erwachsenen – du wirst erstaunt sein, welch pragmatische und wohlüberlegte Aussagen schon von recht kleinen Kindern kommen können.

Schritt 4: Die beste, für alle annehmbare Idee auswählen

Jetzt heißt es eine Entscheidung treffen – findet sich keine, müsst ihr zurück zu Punkt 2 gehen und weiter brainstormen.

Das wichtigste bei der Entscheidung ist, dass sie wirklich für alle annehmbar ist. Im allerbesten Fall eine Win-win-Lösung, bei der alle zufrieden sind. Im zweitbesten Fall ein Kompromiss, bei dem ein jeder ein wenig zurückstecken muss.

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Schritt 5: Idee umsetzen

Reden ist Silber, Tun ist Gold (oder so ähnlich!) – die ganze Besprecherei ist nur so viel wert, wie sie dem Alltagstest standhält.

Je nach eurer Entscheidung, braucht es vielleicht noch ein Plan für die Fernsehzeiten oder einen festen Zeitpunkt, an dem die wöchentlichen Sendungen geplant werden.

Da gehören jetzt auch noch so Punkte geklärt wie:

  • Was passiert, wenn sich eine geplante Sendung einmal nicht ausgeht?
  • Wie wird an die Abmachung erinnert?
  • Muss vielleicht noch eine Eieruhr besorgt werden, die das Ende der täglichen Bildschirmzeit markiert?

Und zu guter Letzt: wie lange wollen wir denn das jetzt mal ausprobieren?

Denn die Lösung muss ja nicht zwingend für die Ewigkeit sein. Es ist oft sehr hilfreich, sich auf 2-4 Wochen Testzeitraum festzulegen, denn es steht ja noch ein Schritt aus – nämlich:

Schritt 6: Umsetzung evaluieren und ggf. nachbessern

Nach eurem Praxistest setzt ihr euch noch einmal zusammen:

  • Was ist gut gegangen, was hat sich bewährt?
  • Was war schwierig, wo hat es vielleicht wieder Konflikte gegeben?
  • Was könnte man noch verbessern?

Ab welchem Alter kann man diese Methode anwenden?

Das ist die Frage, die immer auftaucht, wenn es um diese Art der Konfliktlösung geht. De facto hast du sie bestimmt schon angewendet ohne es zu wissen.

Stell dir vor: du möchtest staubsaugen und dein Baby weint gerade, wenn du loslegen willst. Du wirst die möglichen Bedürfnisse deines Babys überlegen und nacheinander abarbeiten – Hunger, nasse Windel, Bauchweh, Langeweile. Das alles passiert Babys Beteiligung, weil du auch seine Seite übernimmst, für es mitdenkst und durch Handeln Babys Zustimmung oder Abneigung (= Bewertung!) erfährst.

Das heißt, du kannst also schon mit sehr kleinen Kindern anfangen, die sechs Schritte zu üben, indem du vieles anleitest oder ihnen hilfst, ihre Bedürfnisse und Wünsche in Worte zu fassen. Und wie gesagt, sieht die Methode in der Theorie komplizierter aus als in der Praxis und Übung macht den Meister!

Eines meiner AHA-Erlebnisse war mit meiner damals 4jährigen Tochter und ihrem etwas jüngeren Freund, der bei uns zu Besuch war. Plötzlich stürmten die beiden lauthals streitend zu mir in die Küche, meine Tochter hatte irgendein Papierl in der Hand.

Ich hatte natürlich keine Ahnung worum es ging und hab mal nachgefragt (= Schritt 1/Problem definieren)

Antwort Kind 1: „Ich möchte das Papierl selber wegschmeißen!“

Antwort Kind 2: „Und ich möchte beim Wegschmeißen helfen!“

Meine Aufforderung zum Brainstorming (= Schritt 2) : „Ok – und was könntet ihr tun, damit ihr beide zufrieden seid?“

Kind 1: „Ich mache diese Tür beim Kastl zum Mistkübel auf!“

Kind 2: „und ich die andere Seite!“

Kurzer Blick zueinander – „OK“  (= Schritt 3 + 4: Lösungen bewerten und sich für die beste entscheiden)

Kastl aufmachen, Papierl wegschmeißen und wieder spielen gehen (= Schritt 5: Lösung durchführen)

Schritt 6 konnte getrost entfallen, da diese Problematik wohl keine dauerhafte ist ? das Ganze hat keine Minute gedauert!

Probiere es einfach mal aus – und gesteh dir „learning by doing“ zu, es muss nicht beim ersten Versuch gleich alles glatt gehen! Ich freue mich, wenn du mir über deine Erfahrungen berichtest.

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Porträt Vera Rosenauer

Vera Rosenauer

selbst Mama von zwei großartigen Töchtern, passionierte Langschläferin, Besitzerin (und Leserin!) mehrerer Kubikmeter Fachliteratur, zufriedene Kundinnen seit 2009

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